EBRU MALEREI & KUNST                                                                    FİLOGRAFİ   HANDWERK & KUNST

                   

Rosenstiel und Pferdeschwanzhaar zur Naymusik

Eine uralte traditionelle Kunst des Malens auf dem Wasser

Die Ebru-Malerei ist eine Technik des Marmorierens von Papier, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts über Persien ihren Weg in das Osmanische Reich fand. Lange hielten die Künstler dessen Herstellung geheim, weshalb Ebru erst im 18. Jahrhundert in Europa bekannt wurde. Noch heute beherrschen sie nur wenige Menschen außerhalb der Türkei. Die Berliner Künstlerin Arzu Adak ist eine von Ihnen.

von Ceyhan Genç

Als würde der Betrachter in Blau schimmerndes Wasser blicken, auf dem ein Rosenstrauß darüber hinweg schwebt. Diesen Eindruck hinterlassen viele Bilder der Ebru-Kunst. Es ist eine Kunstform, in der auf einer eigens zusammengemixten Flüssigkeit Formen gebildet und diese anschließend auf ein ebenso spezielles weißes Papier aufgetragen werden. Auch andere Arbeiten, die an den Saum eines Kleides, an das Marmormuster eines luxuriösen Badezimmers oder wie bei dem Blick durch ein Mikroskop an aneinander kuschelnde Amöben erinnern, erwecken die Neugier zu erfahren, wie diese Kunstwerke entstehen. Eine Wendeltreppe führt in den dritten Stock des Hauses in das Atelier im Berliner Bezirk Neukölln. Beim Eintritt erwarten den Besucher eingerahmte Bilder an den Wänden, die vorwiegend Rosen am Stiel, Kalligraphie und eine Ansammlung verschiedenster Pigmentfarben abbilden. An einem großen Tisch liegen mit einer Flüssigkeit gefüllte zeichenblattgroße, an Auflaufformen erinnernde Becken. Daneben stapeln sich jede Menge Zeitungspapier. Die Wände zur Straßenseite sind aus Glas und lassen das Tageslicht herein. An einer Ecke des Raumes steht eine Kommode mit vielen kleinen Fächern, eine weitere kleine mit einem CD-Spieler darauf. Zur anderen Ecke befindet sich ein kleiner Tisch, auf der Pinseln, Farbfläschchen und ein Plastikeimer bereit liegen.

Mit einem Holzlöffel rührt die Ebru-Künstlerin Arzu Adak in dem weißen Plastikeimer. Heute ist wieder Unterricht. "Schau", sagt sie, "das ist unser Wasser" und schöpft ein wenig von dem Brei, das an Tapetenkleister erinnert. Wären da nicht die vielen Flocken, dunkel und geheimnisvoll. "Das ist ein pflanzliches Mittel, nennt sich Tragant" erklärt die 33 jährige. An ihrem dünnen Lederarmband hängt eine osmanische Tura, eine Münze mit kunstverzierter Prägung. 115 Jahre sei sie alt. Zu ihrem Kopftuch mit Leopardenmuster trägt die gebürtige Berlinerin eine lange hellblaue Strickjacke, darunter eine schwarze Hose, dunkelbraune Stiefel. Der Tragant selbst sei ein Pulver, das mit stillem Wasser vermischt wird. "Mit einem Sieb wird es dann in das Becken gekippt." Ein Behälter, das an eine rechteckige Auflaufform erinnert. "Bevor wir anfangen, legen wir kurz Zeitungspapier auf das Wasser und ziehen es wieder ab. Dann kann es losgehen, sofern die Farben und Pinsel auch vorbereitet wurden." Die Pigmentfarben, die auch Oxidfarben genannt werden, sind aus Erde, Ruß oder Rost in Pulverform. Sie kämen aus dem pakistanischen Lahore.

Nach und nach treffen die Kursteilnehmer ein. Ein korpulenter Jugendlicher mit tiefer Stimme ruft fröhlich "Hallo Frau Lehrerin" und zieht grinsend seinen Anorak aus. Eine ältere Dame mit Brille kommt dazu, kurz danach eine junge Rothaarige. Im Laufe des Abends sollen es neun werden. Arzu gestikuliert wild, wechselt ins Türkische, geht fast aus sich heraus: "Du kennst doch diese indischen Filme", sagt sie, ohne zu fragen. "Die liebe ich so gerne. Da werfen sich die Hochzeitsgäste bei Festen gegenseitig immer dieses Pulver zu." Der zum Auftragen verwendete Pinsel bestehe aus getrocknetem Rosenstiel, an dem Pferdeschwanzhaare gebunden seien. "Damit die Farbe in den Haaren haftet und beim Tröpfeln nur langsam und kontrolliert tropft. So fällt die Farbe nicht sofort ab." Im Hintergrund spielt orientalische Musik, das an Bauchtanzmusik erinnert. "Sonst spielen wir immer Naymusik", erklärt sie. Klänge einer Längsflöte, die in der persischen, arabischen und türkischen Musik gespielt werden. "Die Schüler arbeiten so ruhiger. Heute spielen wir ausnahmsweise etwas Schnelles. Da werden sie mal eben wild und schneller arbeiten müssen."

Eine Frau im grünen Mantel taucht in Begleitung ihres Mannes und einer Bekannten auf. Sie informiert sich über die nächsten Termine und verabschiedet sich lachend. Eine gute Freundin aus Indonesien, erklärt Arzu. Die Gruppe sammelt sich mit angelegten Schürzen um den großen Tisch und beginnt mit den Vorbereitungen. Farben, Pinseln, Nadeln, und Zeitungspapier werden verteilt, die auflaufförmigen Becken gefüllt. Währenddessen beschreibt die Kursleiterin das Aussehen von Hyazinthen. Sie nachzubilden ist die Aufgabe des heutigen Tages. "Und wie heißt das auf Türkisch, auf Türkisch?" hakt die junge Rothaarige. Ein paar Pflanzennamen werden aufgezählt, keine davon überzeugen wirklich. Arzu nimmt einen Pinsel und tunkt ihn in das Fläschchen mit Lilafarbe. Für die grüne Farbe nimmt sie eine fingergroße Nadel. "Du musst hier nur so, put, put, put, machen für die Blüten." Türkische Lautmalerei für das Tröpfeln der Farben. "Die Blüten müssen größer als die Blätter sein, so oval geformt, das ergibt die Blütenform" erklärt sie in gemischtem deutsch-türkisch, w&aml;hrend die Farben tröpfchenweise auf dem Wasser die Blüten einer Hyazinthe und durch Darüberstreichen der Nadel auf der Flüssigkeit die Gestalt von Stilen annehmen. Nachdem die Künstlerin ihre Arbeit beendet hat, dürfen nun die Schülerinnen ran.

Die Gelegenheit für Arzu, sich kurz hinzusetzen. "Der Weg bis hierhin war lang", erzählt sie und atmet tief durch. "Ich bin in Neukölln geboren. Vor zehn Jahren fand ich mein Glück, heiratete und habe mittlerweile zwei Kinder, doch lange Zeit wollte in meinem Leben nichts so richtig klappen." Besuchte sie noch die Grundschule in Neukölln, schickte ihr Vater seine Frau und ihre drei Kinder für sieben Jahre in die Türkei. Dort beendete Arzu die Oberschule. Weil die Eltern in die Türkei zurückkehren wollten. Eine fortwährende Sehnsucht der ersten Generation, die sich zum Teil bis heute noch gehalten hat. "Für meine Schwester in der zweiten Klasse ging das noch in Ordnung, aber mein Bruder hatte damals die sechste Klasse besucht." Damit die Kinder nicht sp&aml;ter sagten, warum sie in dieser schwierigen Zeit in der Türkei gelassen wurden, holten ihre Eltern sie wieder zu sich nach Deutschland. "Hier lief dann vieles besser. Mein Bruder beendete seine Ausbildung und machte seine Meisterprüfung zum Gas- und Wasserinstallateur. Er arbeitet heute in dieser Branche." In den sieben Jahren verbrachten sie immer drei Monate im Jahr, während der Schulferien in der Türkei, bei ihrem Vater in Deutschland. "Das erste Jahr war für mich sehr schwer, ich musste die achte Klasse wiederholen. Die Lehrerin rief mich einmal auf. Weil ich das das türkische Wort für das Ausrufezeichen nicht kannte, verstand ich sie nicht." Die Lehrerin verspottete sie, indem sie ihr vorwarf, aus dem Land mit der höchsten Bildung zu kommen und nicht einmal das Ausrufezeichen zu kennen. "Wenn ich frustriert bin, kaue ich seit dieser Zeit immer Kaugummi, weswegen ich mir in der Schule oft Ärger einhandelte."

Ebru war für sie erst Liebe auf den zweiten Blick. Nach ihrer Rückkehr aus der Türkei arbeitet sie zunächst als Verkäuferin in einem Haushaltswarengeschäft. Dann, kurz nach ihrer Hochzeit, sieht sie im Fernsehen eine Frau, die blumenförmige Bilder vorstellte. "In diesem Augenblick erinnerte ich mich wieder. Als 15jährige hatte ich in der Türkei einen zweijährigen Kurs in Seidenmalerei begonnen, die ich mit meiner Rückkehr abbrechen musste. Schon da hatte ich mit Farben zu tun." In dieser Zeit wurde in der Schule die Ebru-Kunst vorgestellt und ein Workshop zum Mitmachen angeboten. Einen richtigen Kurs gab es hingegen nur in Istanbul, womit fortw&aml;hrend im Fernsehen geworben wurde, und nicht in Afyon, der Herkunftsort ihrer Eltern. "Ich hatte also diese Frau im Fernsehen gesehen. Da hat es mich erwischt. Da wusste ich, ich wollte diese Kunst unbedingt erlernen." Arzu bucht mit ihrem Mann kurzerhand einen Flug nach Istanbul, um dort einen Künstler kennenzulernen und bei ihm Privatkurse zu nehmen. "Es gibt immer noch mehr Männer als Frauen in diesem Beruf. Ich würde sagen, die Männer merken sich die Übungen schneller, wir Frauen haben wahrscheinlich mehr Sorgen und man muss es uns mehrmals zeigen." Sie lacht. Heute liefe ihr beruflicher Alltag reibungslos. Weniger Sorgen. Im Osloer Sprach- und Kulturfestival stellt sie live vor tausenden Zuschauern ein Bild her, nimmt am Kunst- und Kulturfestival im österreichischen Dornbirn teil und stellt neben TV-Auftritten sowohl an Universitäten als auch an Kiezfesten aus.

"Zurzeit konzentriere ich mich auf Projekte in den Sekundarschulen und Gymnasien." Seit drei Jahren arbeite sie mit Menschen mit Behinderung. "Am meisten freuen sich die Teilnehmer, wenn sie das Blatt aus dem Becken abgezogen haben, sie sehen so glücklich aus, was mich zu meiner Arbeit weiterhin motiviert." Arzu blickt hoch und wippt an ihrem Stuhl hin und her. "Seitdem ich mit Ebru begonnen habe, fühle ich mich stärker. Es fällt mir leichter, auf die Menschen zuzugehen." Der stämmige Junge fragt herüber, wie sie das Papier in das Becken legen soll. "Mit viel Geduld", antwortet sie mit einem Augenzwinkern. Sie demonstriert es an ihrem eigenen Papier vor ihr auf dem Tisch, nimmt das große Blatt zwischen Daumen und Zeigefinger und wiegt es in der Luft vor und zurück. "Die Ecke musst du hier anlegen und dann kommt der Rest". Sie ist wieder in ihrem Element. Die Materialien k&aml;men aus Istanbul, selbst das Papier sei hier viel zu teuer. "Es ist ein saugf&aml;higes und s&aml;urefreies Papier. In Deutschland wird es gerne für Zeichnungen und Skizzen verwendet." Früher sei das Papier noch von Hand hergestellt worden. In die Farbe, die hineingetröpfelt wird, kommen ein paar Tropfen Gallensaft vom Stier. "Verarbeiteter Gallensaft macht hellere Farben, das wirkt nicht mit den Farben, deshalb hole ich lieber welches vom Metzger." Da in Deutschland der Vertrieb von Gallensaft verboten sei, bestellt sich Arzu welches aus den Niederlanden. "Riechen und Berühren sind kein Problem, sie darf nur nicht getrunken werden, ist Gift für den K&oml;rper." Es müsse auch schnell benutzt werden. Wenn es nicht verschlossen aufbewahrt wird, blieben die Farben nicht an der Oberfläche, wofür ausschließlich der Gallensaft sorgen k&oml;nne.

"Dann kannst du deiner künstlerischen Seele freien Lauf lassen und Blumen, wellenförmige, steinförmige Artefakte, Motive und sonstige Formen bilden". Auch Gesichter und Schriften sind damit m&oml;glich. Das Farbspektrum sei enorm groß. Arzu dreht sich um, nimmt aus der Schublade eine Broschßre heraus. "Im Kurs habe ich schon viele gehabt, die mir erklärt haben, wie sehr sie sich nach dem Unterricht erholt fühlten. Familiäre Probleme zu Hause, Migräne, alles haben sie in einer einzigen Sitzung von zwei Stunden vergessen und haben neue Kraft getankt, fanden ihre Mitte, wie man so schön sagt."

Arzu selbst hat sich die Ebru-Kunst in einem langwierigen Prozess angeeignet. "Nachdem ich in der Türkei von meinem Meister, den wir dort Usta nennen, eine Woche lang gelernt habe, bin ich zurück nach Deutschland und habe zwei Jahre lang täglich geübt. Ich blieb dabei immer in Kontakt mit meinem Meister. Anfangs hatte er sich noch quergestellt, wollte seine Kunst nicht weitergeben." Das sei in der Türkei weit verbreitet, da es auch Leute gäbe, die mit gewöhnlichen Farben ihr Werk als Ebru deklarierten, ohne Tragant zu verwenden. "Das Atelier habe ich eröffnet, nachdem ich zum ersten Mal Ebru in der Neuköllner Moschee Yeni Cami vorgestellt hatte." Bis heute sei sie die einzige von zwei Ebru Künstlern in ganz Deutschland und auch sonst gebe es nur ganz wenige in ganz Europa. Seitdem bietet sie Kurse sowohl in ihrem Atelier an als auch in Schulen oder Eltern-Cafes Die Künstlerin geht durch die Runde und prüft die Arbeit der Teilnehmer. Flogen eben noch Wortfetzen über das Aufhören mit dem Rauchen während der Schwangerschaft, über alte Musik aus dem Radio und zu Geburtstagsgratulationen von Marie, der Pessimistin, die heute 24 geworden ist und die Erkenntnis eingeholt hat, sie gehe auf die 40 zu, konzentrieren sich die Schüler auf ihre Arbeit und auf die strengen Blicke ihrer Lehrerin. "Bei den Bl&aml;ttern", erkl&aml;rt sie noch einmal, "müsst ihr für die großen Blüten große Nadeln verwenden und hier durchstreichen, um die Blätter zu teilen." Aslihan, Marie, Dilruba, Lale und Gizem, die elfjährige, nicken. Auch Nebahat und die dreizehnjährige Selin, deren Farben zu kräftig geworden sind, soll mit der Nadel mehr Gallensaft aufnehmen, damit das Papier nicht verschmiert. "Wenn die Farben nach unten drücken, gehen sie kaputt. Öffnen sich die Farben nicht für die Blätter und verschmieren, wurde zu wenig Galle benutzt." Schon wirbelt Selin mit der Nadel und vermischt rot und gelb. Die Atmosphäre wird zwischendurch vom Ruf des Muezzins unterbrochen. Plötzlich bricht Panik aus. Zwei Bilder sind beim Ablegen aneinander kleben geblieben. Ein anderes Bild, an dem zwei der Teilnehmer gearbeitet haben, hat ein Loch bekommen. Und Marie, das Geburtstagskind, k&aml;mpft mit einem Fussel auf ihrem Bild. "Das kommt davon. Du musst schneller arbeiten, damit das nicht passiert" belehrt die Lehrerin. Doch das Gelächter überwiegt.

Es spielt jetzt Nay-Musik, verströmt Ruhe. "Seitdem ich das hier mache, habe ich keine Migräne mehr", erinnert sich Yeliz. Als Kind habe sie das schon einmal gemacht. Nebahat wiederum habe von Arzus Atelier über ein YouTube-Video erfahren. Gizem dreht sich zu ihrer Mutter um, die hinten auf ihrem Stuhl sitzend das Geschehen beobachtet und fragt sie um Rat. "So, die Mama lässt du jetzt sitzen, drehst dich um und vertraust deinen Augen im Kopf" ermutigt sie Arzu. Dafür darf die Mutter nach dem Abziehen des Papiers beim Hineinlegen in das Fach helfen, damit diese an der Luft trocknet. Zuletzt wird noch einmal Zeitungspapier auf das Wasser gelegt und f&uul;r einen neuen Durchgang vorbereitet. Es gibt Kuchen, es wird still. "Nächste Woche können wir das Wasser aus Tragant vorbereiten" kündigt Arzu an. Eine der Teilnehmer will mehr über die Herstellung der Pinsel wissen. "Es gibt Pinsel, die können sich gut acht bis neun Jahre halten, wenn sie gut gemacht sind" erklärt die Künstlerin ihren Schülern. "Die Borsten sind aus Pferdeschwanzhaaren, erst weißt du nicht, woher du sie kriegen sollst und wenn du welches gefunden hast, stinkt es fürchterlich zu Anfang. Du riechst, dass sie vom Pferd sind." Die Pferdeschwanzhaare würden an Rosenstielen gebunden. "Müssen es türkische Pferde sein", will Marie wissen. "Ja, sie dürfen nur von türkischen Pferden stammen." Gel&aml;chter. "Nein, Hauptsache ist, es ist ein altes Pferd, wegen der Borsten. Diese werden dann mit einer Fischerangelschnur oder einem Nylonfaden an das Rosenstiel gebunden." Die Schüler haben sich um die Pferdehaarbüschel versammelt und versuchen sie mit der Schnur festzubinden. "Da braucht man ja eine Frisörausbildung", meint Marie. "Wenn du drei Männer zu Hause hast, lernst du das schon" sagt die Ebru-Künstlerin und schneidet gezielt mit ihrer Schere die Fransen ab.

von Ceyhan Genç